Dunkle Wolken über dem Deal: Ziele anzukündigen ist zu wenig

Leitartikel von Michael Lohmeyer/Die Presse v. 12.02.2024

Die Natur folgt eigenen Regeln und schließt keine Kompromisse. Deshalb funktioniert echter Klimaschutz nur mit echter Nachhaltigkeit.

An diese Woche wird man sich noch längere Zeit erinnern. Es sind jene Tage, in den die Europäische Union einen Traum ausgeträumt hat. Der Green Deal wurde unsanft auf den Boden geholt. Obwohl: Anfangs hat es gar nicht danach ausgesehen, da wurde eine Kernbotschaft der europäischen Klimapolitik noch präzisiert. Auf dem Weg zu Netto-null-Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 solle zehn Jahre vorher ein Minus von 90 Prozent erreicht werden. Das klang ganz danach, als nehme Europa die historische Verantwortung ernst und zeigt vor, wie eine moderne Gesellschaft Klimaneutralität und Wohlstand vereint.

Aber selbst diese Ankündigung hat nicht verbergen können, dass die Sache einen Haken hat: Denn das Etappenziel 2040 soll zu einem knappen Zehntel realisiert wird, indem Kohlendioxid in leergepumpten Lagerstätten von Erdgas- und Erdölvorkommen gepresst wird. Das freilich ist derzeit nicht mehr als Zukunftsmusik: Denn bei der Tiefenspeicherung (CCS) von Kohlendioxid sind viele Fragen offen (nicht nur die der Finanzierung): Gibt es unerwünschte Nebenwirkungen? Wie viel CObleibt auf der Strecke, entweicht also vorzeitig auf dem Weg in die Tiefe in die Atmosphäre? Wie lang dauert es, ehe ein wirkliches Netto-Null erreicht wird, bis also auch die Emissionen beim Bau einer CCS-Anlage kompensiert sind?

Es war kurz vor Weihnachten 2019, als Kommissionspräsidentin von der Leyen den Green Deal vorstellte. Wirtschaft und Umweltverträglichkeit sollten dabei auf einen Nenner gebracht werden. Angestrebt wurde echte Nachhaltigkeit – im Sinne dessen, was viele mit „enkeltauglich“ umschreiben. Ganz einfach: Späteren Generationen sollen keine Altlasten hinterlassen werden, ein Zahnrad soll ins andere greifen: Schutz des Klimas, der Biodiversität, Kreislaufwirtschaft oder Kampf gegen die Mikroplastikflut. Kurz schien es, als sei dies parteiübergreifender Konsens.

Verordnungen und Richtlinien wurden entworfen, aber schon die ersten Debatten über die Details – von der konkreten Abgrenzung der Betroffenen bis zu den Feinheiten juristischer Formulierungen – förderten zutage, dass über dem „Green“ die dunklen Wolken des „Deals“ schweben.

Seither sind wir Zeugen, wie der Green Deal nicht nur Federn lassen musste, sondern vielmehr schonungslos gerupft worden ist: Angriffe auf Brache für kleine Ackerrandzonen (um der Biodiversität willen), Attacken auf das Natur-Wiederherstellungs-Gesetz, die Regeln für Gentechnik bei Saatgut, die EU-Verordnung gegen Entwaldung, gegen das Lieferkettengesetz, die Richtlinie über Sorgfaltspflichten von Unternehmen oder das Aus für die Halbierung des Pestizideinsatzes – der hehre Anspruch von einst wurde ruppig auf den Boden der Realität geholt.

Getrieben vor allem von Konservativen und noch weiter rechts beheimateten Parlamentariern ging die Kommission vor Industrie und Agrarlobby in die Knie; wie tief, zeigt der Text, mit dem die EU den Fortgang des Green Deal für den mit 386 Milliarden Euro größten Brocken des EU-Budgets, die Agrarpolitik, skizziert: „Wirksame agrarpolitische Maßnahmen auf der Grundlage eines strategischen Dialogs.“ Das liest sich auch so: „Erst einmal abwarten, nichts überstürzen.“

Von „Enkeltauglichkeit“ ist genauso wenig die Rede wie von Nachhaltigkeit, beides an die Wand gedrückt vom Vorwurf angeblich überbordender Bürokratie und schwindender Standortqualität. Der Green Deal steht vor allem an der Kippe, weil die Landwirtschaft nicht bereit ist, ernsthaft mitzumachen.

Der Blick über die politische Arena hinaus zeigt aber: Nur echte Nachhaltigkeit sichert beständige Standortqualität. Denn die Natur folgt ihren eigenen Regeln, deren Nichteinhaltung einen Preis hat und durch Dürre oder Überschwemmungen in Rechnung gestellt wird.

Es ist an der Zeit, das wahre Match zu benennen: industrialisierte Landwirtschaft gegen eine nachhaltige. Solang echte Nachhaltigkeit nicht über ein Nischendasein hinauskommt, so lang bleibt echter Klimaschutz auf der Strecke. Es ist viel zu wenig, Ziele lediglich anzukündigen.

E-Mails an: michael.lohmeyer@diepresse.com

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Hungerkur für Biolandwirte

Verena Kainrath/Der Standard

Wie viel ist Bio der Landwirtschaft wert? Viel, wenn Österreich international glänzen will. Wenig, wenn es darum geht, das Rückgrat der Branche zu stärken.

Die Regierung stellt Biobauern im aktuellen Programm für umweltgerechte Landwirtschaft finanziell deutlich schlechter. Wie damit das selbstgesetzte Ziel erreicht werden soll, den Anteil der ökologischen Flächen im Landbau bis 2030 von 27 auf 35 Prozent zu heben, steht in den Sternen. Noch mehr, seit im Vorjahr mehr als 900 Betriebe aufgrund des widrigen Umfelds aus der Bioproduktion ausstiegen.

Biolandwirte erbringen Leistungen für Umwelt und Klima, die ohne gezielte Förderungen nicht zu stemmen sind. Vor allem kleine Bergbauernhöfe lassen sich angesichts der geringen Anteile, die sie vom Preis eines Lebensmittels bekommen, ohne Ausgleichszahlungen kaum rentabel führen.

Weiten Teilen der konventionellen Agrarwirtschaft war der Ökoboom stets Dorn im Auge. Nur zu gern verkaufte sie Regionalität als das bessere Bio. Der Biobranche wiederum fehlte der Mut, sich stärker von konventioneller Landwirtschaft abzugrenzen. Wer beißt schon die Hand, die einen füttert.

Versagt hat der Bund bei der öffentlichen Beschaffung. Auf dem Papier vereinbarte Bioquoten waren bisher nichts wert. Nachhaltige Landwirtschaft lebt nicht von Luft und Liebe. Ohne klare politische Bekenntnisse geht sie den Bach runter.

 
 
 
 
 
 

 

 

 

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Falter.natur Der Nachhaltigkeitsnewsletter

Geht es um Tiere, bin ich für diesen Newsletter eigentlich unqualifiziert, denn ich bin kein Tierfreund im klassischen Sinn. Ich fürchte mich vor Hunden und erschrecke mich vor Mäusen. Katzen, finde ich, riechen nicht so gut. Wenn ich im Meer schwimme, denke ich nie: “Wow, toll, Fische!” Sondern immer: “Oh, fuck, Fische!”

Ich hatte in der Kindheit keine Haustiere, dafür eine Bienenallergie. Die einzigen Viecher, die meine Eltern anschafften, waren vier Enten – sie sollten die Schnecken im Garten fressen. Wenn ich bloßfüßig Fußball spielte, bin ich ständig in ihrer weichen Kacke ausgerutscht. Ich habe die vier “Gogaz”, “Net”, “Sou” und “Fll” getauft, was oststeirisch ist und zusammengenommen frei übersetzt “Seid ein bisschen leiser” bedeutet.

Meine Sensibilisierung für ökologische Themen kommt nicht davon, dass ich Tiere liebe, sondern daher, dass ich die Menschen sehr mag. Unsere Spezies finde ich die interessanteste von allen, sie kann zugleich zum Mond fliegen und die Erde in die Luft jagen. Der ökologische Kollaps, den der geniale Homo sapiens durch beharrliche Arbeit herbeiführt, bedroht ihn mittlerweile selbst existenziell.

Laut dem brandneuen Global Risks Report sind die vier größten Gefahren für die Welt: Extreme Wetterereignisse. Kritische Veränderung der Erdsysteme. Verlust der biologischen Vielfalt und Zusammenbruch von Ökosystemen. Knappheit von natürlichen Ressourcen. Mit “Verschmutzung” schafft es noch eine fünfte ökologische Krise in die Top 10.

Diese Gefahren hängen miteinander zusammen. Und sie alle gründen auf dem Erfolg der Menschheit. Ebenso wie die Zahl der Menschen explodiert ist – im Jahr 1500 gab es laut Schätzungen rund 461 Millionen von uns, mittlerweile stehen wir bei mehr als 8 Milliarden – ist unser Ressourcenverbrauch gestiegen. “Im Jahr 1500 verbrauchte die Menschheit pro Tag 13 Billionen Kalorien Energie. Heute verbrauchen wir pro Tag 1500 Billionen Kalorien”, schrieb der Universalhistoriker Yuval Harari in seinem Bestseller “Eine kurze Geschichte der Menschheit“, den er im Jahr 2011 veröffentlicht hat. Die Evolution des Homo sapiens ist phänomenal. Wie er sich den Planeten aneignete und letztlich dominierte, bleibt in der Erdgeschichte ohnegleichen. Wir sind vom gejagten Affen zum König der Tiere aufgestiegen. Wir sind Despoten.

Vergangenen Oktober erschien eine Studie, die zugleich wenig überraschend und doch sehr aussagekräftig ist. Forscher:innen hatten ausgetestet, wovor sich die wilden Tiere im südafrikanischen Krüger-Nationalpark am meisten fürchten. Sie spielten ihnen über Lautsprecher Hundegebell, Gewehrschüsse, Stimmen von Menschen und Geräusche von Löwen vor – die Raubkatze gilt in der Savanne schließlich als die gefürchtetste Spezies. Das Ergebnis: Wenn Leoparden, Nashörner, Hyänen, Giraffen, Zebras und Co Menschenstimmen hörten, nahmen sie deutlich häufiger Reißaus als bei Löwengeräuschen oder Schüssen.

Welche Arten leben dürfen, welche sterben sollen, entscheiden wir. Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 hat die Menschheit seit Beginn der Zivilisation 83 Prozent aller wildlebenden Säugetiere vernichtet. Wir haben dadurch einiges aus dem Gleichgewicht gebracht. Alle Menschen zusammen wiegen fast 20 Mal so viel wie alle wildlebenden Landsäugetiere zusammen. Und zehn Mal so viel wie alle Meeressäuger. Das zeigt diese Studie aus dem Vorjahr, derzufolge nur eine Gruppe von Säugetieren mehr auf die Waage bringt als wir selbst: jene der Haus- und Nutztiere. Sie wiegen nahezu 30 Mal so viel wie die wildlebenden Säugetiere an Land. Allein die Haushunde sind so schwer wie alle wilden Säugetierarten zusammen.

Der Kampf gegen die Wildnis geht indes weiter. Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) setzt sich gerade dafür ein, dass man den streng geschützten Wolf leichter abschießen kann. Auch die EU-Kommission schlug im Dezember vor, den Schutzstatus des Beutegreifers aufzuweichen. In Kärnten befeuert in diesen Tagen die Landwirtschaftskammer die Wolfsdebatte.

Ich verstehe wirklich alle, die sich vor dem Tier fürchten, ich schrecke ja selbst schon vor einem aggressiven Chihuahua zurück. Aber wenn ich mir dieses Ungleichgewicht auf der gigantischen Säugetier-Weltwaage vorstelle und an die Aussagen des neuen Global Risks Report denke, fällt mir unweigerlich dieser lateinische Ausspruch ein, den ich einmal gelernt habe, um klüger zu wirken, als ich bin: Homo homini lupus.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

Bild von Benedikt Narodoslawsky

Ihr Benedikt Narodoslawsky

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