Vorlesung 02 Alpwirtschaft im Jahre 2016 auf der Universität für Bodenkultur in Wien:
Die Almbewirtschaftung diente früher hauptsächlich bäuerlichen Zielen. Genannt seien die Erweiterung des Futterangebotes und des Viehstandes, Senkung der Aufzuchtkosten, Brechen der Arbeitsspitzen am Heimhof, Verbesserung der Tiergesundheit sowie die Erzeugung höchstwertiger LEBENSmittel.
Neben diesen zahlreichen Nutzfunktionen der Viehalpung für die Landwirtschaft weisen die Almen heute aber zusätzlich Funktionen auf, die weit über den bäuerlichen Bereich hinausgehen und deren Bedeutung für die Gesamtbevölkerung laufend steigt. Die Attraktion des Landschaftsbildes wird durch Offenhaltung des Geländes und durch bewirtschaftete und mit Vieh bestoßene Almen sehr stark angehoben.
Wissenschaftliche Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren in der Almregion äußerst hoch ist bedingt durch verschiedene an Gelände, Boden- und Wasserverhältnisse angepasste Nutzungsintensitäten, durch den vielgestaltigen Wechsel von Weiden, Sträuchern und Baumgruppen sowie wertvollen Biotopen.
Geborgenheit ausstrahlende Hütten und weidendes Vieh inmitten weitläufiger Almen vermitteln dem Erholungssuchenden ein Erlebnis der Sinne abseits des Alltags. Die Anwesenheit von Almpersonal, der Genuss von Almprodukten und die gelebte Almkultur sind besondere Anziehungspunkte.
1. Gesundheitliche Aspekte für Mensch und Tier:
Sonnenbestrahlung
gedrungenes Wachstum
Vitaminbildung (besonders Vitamin D)
Nährstoffgehalt des Futters
bakterientötende Kraft (Bakterizidie)
Rachitisheilung
Ca-Einbau in Knochen
Stoffwechsel Blutbildung
hoch-ionisierte, bakterienfreie Bergluft
Kraft des Berg-Quellwassers
Ruhe abseits vom Trubel des Tales
freie Bewegungsmöglichkeit mind. 12 bis 24 Stunden, natürlicher Almweidegang
selektive Futteraufnahme der besten Gräser und Kräuter beeinflusst die Gesundheit, die Inhaltsstoffe und den Geschmack von Fleisch und Milch
artgerechte Tierhaltung, ausreichend Wasserangebot auf der Weide oder im Stall
Alpines Paradox, CLA-Gehalte in der Almmilch, Omega 3 Fettsäuren – siehe Weiterführende Unterlagen
Eiweißfragmente mit blutdrucksenkender Peptide VPP und IPP besonders reichlich in Almkäse vorhanden (Bakterienstamm Lactobacillus helveticus spielt eine bedeutende Rolle, dieser komme in der Rohmilch vor, was möglicherweise den Gehalt an bioaktiven Peptiden von Rohmilchkäse fördert) (Forschungsanstalt Agroscope ALP, Liebefeld)
2. Ökonomische Funktionen
Einnahmen aus Produktion
Positive Beeinflussung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Tiere
Erzeugung biologisch hochwertiger Naturprodukte Milch, Butter, Käse Fleisch Holz
Wertschöpfungssteigerung durch Milchverarbeitung und geschützte Käse- und Markenfleischprogramme
Mit einer geschützten, kontrollierten Marke “Bio von der Alm” und Vermarktung durch bestehende bäuerliche Organisationen könnte für die Zukunft die Erzeugung von Almmilch- und Almfleisch- sowie weiterer Produkte von der Alm äußerst interessant sein, um statt der Großhandelspreise mit Premiumqualitätspreisen eine höhere Wertschöpfung und damit Sicherung von Bergbauern- und Almbetrieben sowie der Kulturlandschaft zu gewährleisten.
Verbesserung der bäuerlichen Existenzgrundlage, zum Teil sogar Haupteinkommen aus der Almbewirtschaftung mit Einnahmen aus Dienstbarkeitsverträgen, Vermietungen oder dem Tourismus
Senkung der Aufzuchtkosten (ca. 30 % beim Jungvieh)
Brechen der Arbeitsspitzen im Sommer bei gemeinschaftlicher Bewirtschaftung, dadurch Erleichterung für Voll-, Zu- oder Nebenerwerbsbetriebe
- Erhöhung der Futtergrundlage um 1/4 bis 1/3
- Lebensraum für Rot- und Gamswild, geht die Kuh geht auch das Wild!
- Bienenhaltung
- Beeren, Pilze, Tee- und Heilkräuter
- Trinkwasser
- Einnahmen aus Vermietung / Verpachtung
- Jagdpacht
- Einnahmen aus Tourismus (Nächtigungen, Hüttenvermietung, Dienstbarkeitsverträge mit Liftgesellschaften, Jausenstation)
Almerleben durch Almführungen, Almwanderungen, Zimmer mit Frühstück auf der Alm sind einzigartige Angebote - Öffentliche Direktzahlungen: Ausgleichszulage, Extensivierungsprämie, Alpungs- und Behirtungsprämie, Invest.-Förderung
3. Globale Funktionen der extensiven Alm- und Grünlandnutzung durch Rinder
- Die Richtlinie des ÖPUL-Programmes Alpungsprämie „auf der Futtergrundlage der Alm“ schränkt die externe Fütterung ein. Somit findet bei wenig Beifütterung von Kraftfutter aus Ackerbaugebieten des Inlandes und globaler Südländer keine Nahrungskonkurrenz zum Menschen statt
- Bei möglichen Klimaänderungen mit Trockenzeiten gibt es eine Futter- und Lebensmittelreserve auf Almen
- Es findet auf der Alm eine energiesparende Lebensmittelerzeugung statt durch den Wegfall von leichtlöslichem Dünger, Holzbauweise und weniger Transporte bei Direktverarbeitung und regionaler Vermarktung
- Wasserbilanz der Welt „Ein Liter Milch aus einer Hochleistungskuh braucht sogar 16 Mal mehr Wasser als die Weidevieh-Milch und sogar 50 Mal mehr Wasser als die Almvieh-Milch. (Quelle: Wiener Zeitung Nr. 051 vom 14.03.2012 Seite: 17)
- Klimaschonende Bewirtschaftung: Je extensiver (kraftfuttersparender) die Rinderhaltung, desto geringer ist die Klimabelastung durch Methan als Treibhausgas, 50 mal geringerer Wasseverbrauch bei der Milchproduktion als bei intensiver, maissilagebetonter Milchviehhaltung
auf Weideflächen Sauerstoffproduktion 8 t pro ha (Wald 2,7t/ha) und Speicherung von CO2 im Humus
- Im Hinblick auf knapper werdende landwirtschaftliche Flächen gewinnt auch die Fleischerzeugung mit Mutterkuhhaltung, Ochsenmast, Schaf- Ziegen- und Almschweinehaltung im Berg-Grünlandgebiet eine zunehmende Bedeutung.
In Zukunft wird bei steigender Weltbevölkerung, der Energieverknappung und dem drohenden Klimawandel sowohl die ausreichende Erzeugung hochwertiger Lebensmittel als auch die Berücksichtigung aller Nachhaltigkeitskriterien immer wichtiger.
Bio-Landbau und Almwirtschaft bieten faszinierende Zusammenhänge, die in Zukunft intelligent vernetzt werden könnten. In Österreich umfasste die Bio-Almfutterfläche 2009 fast ein Viertel der gesamten Almfutterfläche. Es lässt sich feststellen, dass ein sehr hoher Prozentsatz aller Almen an der ÖPUL-Maßnahme „Alpung und Behirtung“, die ja wesentliche Elemente der EU-Bio-Verordnung beinhaltet, teilnimmt und deshalb eine Bio-Zertifizierung auf weiteren Almen ohne größere Schwierigkeiten durchgeführt werden könnte.
4. Erholungs- und Wohlfahrtsfunktionen
freie Sicht in offener Landschaft statt dichtem Wald
Reichlich Strukturelemente in der Landschaft
Ausreichende Zugänglichkeit (Wege, Steige, Brücken)
Versorgungseinrichtungen (Jausenstation)
Belebter Raum (Almpersonal, Vieh)
Grundlage für den Wintersport (Pistenfläche)
Der besondere Reiz der belebten Almregion an der Grenze zur Naturlandschaft, die Verköstigung von frischen, unverfälschten Lebensmitteln, das Erleben aller Urelemente, die absolute Stille abseits vom Trubel im Tal sind Erlebnisse, die es sonst auf der ganzen Welt sehr selten gibt.
5. Ökologische Funktionen
Erhaltung von Grünlandflächen
Bewahrung natürlicher Ressourcen
Erhaltung geschlossener Ökosysteme
höchster Artenreichtum beim Wechsel zwischen Weideflächen und Wald, typische Pflanzengesellschaften
Saumbiozönosen in lichten Weidewäldern
Bewahrung hochalpiner Wirtschaftsformen
6. Schutzfunktionen
Schutz durch Abweiden des Pflanzenbestandes/Verhinderung von Elementarschäden, wie:
Lawinen: bewachsene Trittgangeln, kurz gehaltenes Gras
Erosionen: rasche Sanierung durch anwesendes Almpersonal, geschlossene Grasnarbe wirkt Erosionen entgegen
Muren: frühzeitiges Erkennen und Sanieren
Rutschungen: geschlossene Grasnarbe wirkt entgegen
Verbesserung des Wasserspeichervermögens
Ausleitungsbauwerke mit Retentionsflächen
der Klimawandel wirkt sich verstärkt auf den Bergraum aus,
pflegliche Almbewirtschaftung und fachgerechtes Weidemanagement gewährleisten weiterhin die Schutzfunktionen der Almen.
Der Alm- und Bergbauer trägt insgesamt eine kaum hoch genug einzuschätzende Verantwortung für die Lebensmittelqualität und die Sicherung der Lebensgrundlagen in der sensiblen Bergregion. Dabei besteht eine relativ große Entscheidungsvielfalt bei der Wahl der Bodenbedeckung, dem Weide- und Düngungsmanagement und der Gestaltung der Kulturlandschaft.
Die neue Bildungsinitiative “Multifunktionale Almwirtschaft” der Landwirtschaftskammer Österreich trägt mit Zertifikationslehrgängen und Weiterbildungen dazu bei, den Bildungsstand der Almbauern zu erhöhen. Eine Zertifikationsausbildung für Inhaber von Baufirmen und Baggerfahrer sollte für den fach- und umweltgerechten Einsatz von Maschinen und Geräten im Bergraum verpflichtend eingeführt werden.
7. Sozio-kulturelle Funktionen
Almbewirtschaftung gehört zur bergbäuerlichen Kultur und Identifikation, prägen das Bild des Bergraumes
in Jahrtausenden entstandene Kulturlandschaft mit typischen Gebäuden
Zusammenleben von Hirten, SennerInnen, Jäger, Wilderer und Almvieh,
im Almsommer verblieben Bauersleute im Tal usw.
daraus entstehen Volkslieder, Sagen und Geschichten
Almfeste sind sowohl bei Einheimischen als auch Gästen beliebt
Christliches und heidnisches Brauchtum
echtes Brauchtum belebt den ländlichen Raum, erhöht die Lebensqualität des Bauern und beeinflusst die Entscheidung der bäuerlichen Jugend zur Weiterführung oder Übernahme der Bauernhöfe wesentlich.
Die im Bergraum vorhandenen Wohlfahrtsfunktionen beeinflussen sehr stark die Nutzfunktionen und diese wiederum je nach Ausübung und Gestaltung der vier Säulen der Almwirtschaft (Weide, Tiere, Almeinrichtungen, Almpersonal) die weiteren öffentlichen Funktionen, siehe Grafik “Art der Bergland- und Almbewirtschaftung”
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