Massentierhaltung Interessanter Artikel in der Falter ePaper-App: FALTER, 09.02.2022 – NUR DIE LEISTUNG ZÄHLT

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Anmerkung Legner:

Höchstleistungen gehen vielfach auf Kosten des Tierwohls, der Nutztierlebensdauer, der Lebensmittelqualität, des Bodens, des Abwassers, der Energiebilanz.

Dieser gut recherchierte Artikel erschien im Falter am 8.02.2022

Falter v. 08.02.2022

NUR DIE LEISTUNG ZÄHLT

„Die moderne Landwirtschaft verlangt nach Hochleistungstieren. Sie werden auf ihren Verwendungszweck ausgerichtet. Genetische Vielfalt spielt keine Rolle. Wenige Rassen, teils Produkte von Unternehmen, bestimmen den Weltmarkt bei Milch, Eiern, beim Hühnerfleisch und in der Schweinemast. Wer sind die Monopolisten? Und um welche Tiere handelt es sich?

PORTRÄTS: EVA KONZETT

DIE HOLSTEIN-KUH

Anteil weltweit: 90 Prozent

Anteil Österreich: sieben Prozent, 36.700 Tiere Milchleistung/Jahr: 10.000 kg Lebensdauer: drei Laktationszyklen (4,5 Jahre) Endet: in Österreich als McDonald’s-Patty Schwächen: Fruchtbarkeitsstörungen, Totgeburten, wertlose Stierkälber. Flachbemuskelt ist dieses Rind. Man sieht die Rippen, die Hüftknochen, und das ist gewollt. Die Bestimmung des Tieres baumelt imposant zwischen den Hinterläufen: das Euter. Die Milch ist so wichtig, dass der Zuchtwert der Kuh sich auch daran bemisst, ob sie sich von Milchrobotern problemlos melken lässt.

10.000 Kilogramm Milch pro Jahr schaffen durchschnittliche Holstein-Kühe (um 1900 gab eine Kuh rund 2000 kg/Jahr), Spitzentiere erreichen eine Lebensmilchleistung von 100.000 Kilogramm Milch. Nach drei Laktationszyklen geht meist nichts mehr. Eine Kuh, die nicht kalbt, gibt aber keine Milch. Dieses Naturgesetz kann selbst die moderne Landwirtschaft nicht außer Kraft setzen. Die Tiere werden aussortiert und verarbeitet.

Die Holstein-Kühe stammen ursprünglich aus den Niederlanden, von wo sie Auswanderer in die Neue Welt mitnahmen. Amerikanische Bauern züchteten die Tiere auf hohe Milchleistung weiter, in den 1970er-Jahren kam die Rasse nach Europa zurück. Neun von zehn Milchkühen weltweit sind heute Holsteins. Seit Besamungsstationen in den 1960ern Bullenspermien portioniert und in Stickstoff gefroren anbieten, geht der Dorfstier nicht mehr von Hof zu Hof, sondern der Bauer mit der Samenspritze durch die Stallgasse. Das hat die Genetik extrem verengt. In den USA stammen 99 Prozent aller Holstein-Kühe von nur zwei Bullen ab. Wären die Holstein-Rinder Wildtiere, würden sie als „gefährdete Rasse“ gelten. Der „große Rahmen“, die „hohen Beine“ bringen mehr Milch. Aber die Euter entzünden sich oft. Außerdem haben sich die Organe den Holstein-Maßen von 1,5 Meter Widerristhöhe und einem Gewicht von rund 700 Kilogramm nicht angepasst. Um die Tiere robuster zu machen, kreuzen die Züchter jetzt andere Rassen ein. Etwa die Zweinutzungsrasse Fleckvieh, wie sie in den meisten hiesigen Ställen vorzufinden ist. Deren Genetik ist nun ein Exportschlager. Fleckviehsperma in der Größenordnung von eineinhalb Tonnen führen österreichische Besamungsstationen in die EU und in Drittstaaten aus. Auch befruchtete Embryos werden verkauft.

LOHMANN BROWN CLASSIC

Marktposition in Österreich: 90 Prozent Legeleistung: 300 Eier pro Jahr Lebensdauer: 15 Monate Endet: als Tierfutter oder im Suppenwürfel Stärken: verstoffwechselt 100 Kalorien (ein Ei) an fast jedem Tag Schwächen: Osteoporose Die Idee stammte aus den USA, in Europa perfektioniert hat sie ein ehemaliges Unternehmen für Fischmehl im norddeutschen Cuxhaven: die Hybridzucht bei Geflügel. Bei der Hybridzüchtung werden zwei Rassen gekreuzt, die Hybride gehen in die Produktion und vermehren sich nicht weiter, die „Elterntiere“ sorgen ständig für Nachschub, die Großelterntiere sichern die genetische Basis. Genetik und Output sind getrennt. In Österreich sind 90 Prozent der Legehennen, auch im Biobereich, Lohmann-Brown-Hühner. Ihre Stärke: die Legeleistung. Für die männlichen Küken bedeutet das einen frühen Tod: Sie setzen kein Fleisch an und sind für die Mast ungeeignet. Lohmann-Brown-Hennen hingegen verstoffwechseln zwei Kilogramm Futter in ein Kilogramm Eimasse. 2,5 Gramm Kalzium wendet das Tier pro Tag für die Eierschalenproduktion auf. Dieser Kalk fehlt in den Knochen, vor allem im Brustbein, die Rasse leidet kollektiv an Osteoporose, Frakturen bei leichten Zusammenstößen sind Alltag in den Betrieben. Die Schalenbruchfestigkeit aber entscheidet über den Erfolg im Supermarkt. Das Zuchtziel liegt bei mehr als 40 Newton. Das ist wichtig, damit die Eier im Karton nicht kaputtgehen. In Österreich gelten höhere Haltekriterien für Legehennen als im Rest der EU. In heimischen Supermärkten kommt nur Frischei aus Österreich zum Verkauf. Die großen Marken Rewe, Spar und Hofer tragen die höheren Standards mit. Umgekehrt sind die Geflügelbauern ihnen ausgeliefert: Sie können ihre Frischeier nur hier platzieren. Die Corona-Pandemie hat die Frischeierpreise ins Bodenlose fallen lassen: Für ein Kilo Frischei (das sind rund 16 Eier) bekamen die Bauern zeitweise überhaupt nur 50 Cent. 13 Cent in der Bodenhaltung pro Ei aber sind das Existenzminimum des Bauern. Die Eierbauern kämpfen mit dem österreichischen Supermarkt-Oligopol und mit der Marktverzerrung: Lohmann Breeders in Cuxhaven verwaltet die Genetik der Tiere, die das Unternehmen wie ein Patent verkauft. In Österreich darf kein Bauer Lohmann-Brown-Classic-Hühner selber züchten und damit die Zuchtziele mitbestimmen.

ROSS 308

Status: Hochleistender Masthybrid Herkunft: das Unternehmen Aviagen mit Sitz in Visbek Verbreitung: Weltmarktführer Lebensdauer: rund 40 Tage

Schwächen: Fußballenentzündungen Produktion in Österreich: 98 Millionen pro Jahr Zweitausend Jahre lang nutzte der Mensch das Huhn der Eier wegen, bis 1923 die amerikanische Hausfrau Celia Steele im Bundesstaat Delaware Küken für ihre Legeherde bestellte und anstatt der geforderten 50 Stück 500 erhielt. Was tun? Steele pferchte die Tiere in Holzverschläge, beheizte diese mit Holzöfen, brachte 387 Tiere durch den Winter und verkaufte sie mit Gewinn. Drei Jahre später hielt sie schon 10.000 Hühner. Voilà, das erste Masthuhnbusiness. 2016 wurde weltweit schon mehr Geflügelfleisch als Schwein gegessen: nämlich 1,2 Billionen Tonnen. 98 Millionen Masthühner werden in Österreich pro Jahr geschlachtet. Die meisten dieser Tiere gehören zur Marke Ross 308, auch dies ein Hybridhuhn. Um die Hochleistungsmerkmale zu erreichen, werden sie immer wieder neu gekreuzt. Die für die Mast bestimmten Tiere haben keine Nachkommen. Ross 308 ist eigentlich keine Rasse, sondern ein Produkt des Unternehmens Aviagen, das wiederum zur deutschen EW Gruppe gehört (wie auch Lohmann Breeders).

Die Masttierzucht folgt betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien: Das Management-Handbuch für Ross 308 alleine umfasst 148 Seiten. Es empfiehlt etwa, den Tieren vier Stunden Dunkelheit am Stück zu gewährleisten: Ein Huhn frisst, solange es hell ist.
Ross 308 ist ein Turbotier. In seinem 40-tägigen Leben steigert sich das Masthuhn von 42 Gramm Schlupfgewicht auf zwei Kilogramm Lebend-und 1,5 Kilogramm Schlachtgewicht. Am Ende machen seine Brust-und Schenkelmuskulatur 66 Prozent des Schlachtgewichts aus.
Die Tiere werden zu schnell zu schwer, die Fußballen entzünden sich, die Einstreu besteht bei nicht sachgemäßem Stallmanagement mit fortschreitender Mast aus den Ausscheidungen der Tiere. Das Unternehmen Aviagen beteuert, die Tiergesundheit züchterisch auszubauen. Branchenkenner in Österreich sehen das anders. Das Masthuhn lebe nur sechs Wochen, da rentiere sich diese Investition nicht. Auch bei den Masthühnern sind die Geflügelbauern selbst relativ machtlos: Die merkmalbestimmenden sogenannten Großelterntiere werden unter Verschluss im Ausland gezüchtet. Ihre Genetik bleibt Unternehmensgeheimnis.

PIETRAIN-SCHWEIN

Besondere Merkmale: reine Vaterrasse
Verbreitung: 90 Prozent in Österreich
Bestand: rund 600 Eber in Österreich
Rückenspeckdicke: acht Millimeter
Schweinefleischpreis: 1,3 Euro pro kg Schlachtfleisch
Folgen: Der Bauer macht ein Minusgeschäft
Die Mutter heißt bei diesem Schwein Glück, das Fleisch aber bringt der Vater. Sind Rinder oft Reinzüchtungen und Hühner Hybride, vereint das Mastschwein die Genmerkmale dreier Rassen. Die Muttersau ist eine Kreuzung aus Landschwein und Edelrasse, in Österreich nennt man sie „Fortuna“. So eine Fortuna-Sau wird sechs Mal in ihrem Leben mit zwei Tuben à 85 Milliliter verdünntem Sperma eines Pietrain-Ebers künstlich befruchtet. Sie trägt drei Monate, drei Wochen und drei Tage. Die Zucht ist hierzulande in der Hand von 100 Familienbetrieben.
Pietrain-Eber stammen aus Belgien, die europäischen Züchter bringen sie seit den 1970er-Jahren in die Mastschweinproduktion ein. Auch in Österreich ist das so. Damals wollte der Konsument mageres Fleisch. Die Sauen aber, auf immer größere Ferkelwürfe – 28 Ferkel im Jahr – ausgerichtet, brauchen dicke Speckschwarten als Energiereservoir. Der muskulöse Pietrain-Eber als Vater gleicht den Fleischgehalt beim „Mastendprodukt“ aus. Nur acht Millimeter hat die „Fettauflage“ am Rücken, per Ultraschallkopf gemessen. Eine Landrassesau kommt auf 15 Millimeter.
Aus 2,5 Kilogramm Futter macht das Mastschwein ein Kilogramm Fleisch. Das ist seine Bestimmung. Zuchteber werden danach ausgewählt, ob die Nachkommen in den Kategorien „tägliche Zunahme“ und „Futterverwertung“ reüssieren. 800 Gramm Fleisch nimmt ein Mastschwein pro Tag zu.
Fleischfülle aber ist nicht immer gleich Fleischqualität.

In den 1980er-und 1990er-Jahren hatten die Züchter zu sehr auf Fleischmasse gesetzt. Das großflächige Fleisch war dann schlecht durchblutet, es nahm viel Wasser auf, und gab dieses dann im Schlachthaus und in der Pfanne ab. Seither erhebt der Schlachter den sogenannten „Tropfsaftverlust“ als Qualitätsmerkmal. Fünf Millionen Schweine werden in Österreich pro Jahr geschlachtet, dazu Schweineteile in der Menge von weiteren zwei Millionen vor allem aus Deutschland importiert, etwa für die Wurst-und Speckproduktion. Würde man alle diese Schweine aneinanderreihen, so ergäbe dies eine Kette von Wien über den ganzen Atlantik bis nach New York.
Halloooo, Klimaschutzgesetz? Seit mehr als 400 Tagen wartet Österreich auf ein wirksames Klimaschutzgesetz. Benedikt Narodoslawsky recherchierte im Falter.Natur-Newsletter, warum nichts weitergeht.“
Im Netz: Falter.at/natur

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